Inklusion ist kein Schönwetter-Konzept
Datum 15.10.2020
Liebe Leser*innen des Inklusionsnewsletters,
Mitte Oktober, der Herbst ist da und das Jahr neigt sich bereits deutlich dem Ende zu. Viele der Menschen, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, würden das Jahr 2020 gerne schnell vergessen und zu den Akten legen. Für einige Bevölkerungsgruppen sind die Auswirkungen der Pandemie besonders einschneidend, nicht selten bedrohlich. Der Befund ist nicht neu, dafür aber umso deutlicher: Die Probleme einer Gesellschaft, die in „normalen Zeiten“ teilweise übersehen oder verdrängt werden, zeigen sich überdeutlich in Krisenzeiten. Dies betrifft obdachlose Menschen, Geflüchtete oder von Gewalt bedrohte Frauen und Kinder und auch Menschen mit Behinderungen.
Zu meinen Aufgaben zählt es, die Bundesregierung auf Problemlagen für Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen. Sie können sich darauf verlassen, dass ich dies tue - zur Not auch mit Nachdruck. Sei es in Bezug auf die Situation von Menschen, die in stationären Wohnformen leben, die in Werkstätten arbeiten, die wie alle anderen auch auf angemessene und barrierefreie gesundheitliche Versorgung angewiesen sind oder die barrierefreie Kommunikation benötigen - Stichwort Gebärdensprache und Leichte Sprache. Die Liste lässt sich fortsetzen. Auch die Verpflichtung privater Anbieter von Produkten und Dienstleistungen ist ein „Dauerbrenner“. Aktuell wird hierzu innerhalb der Bundesregierung die Umsetzung des sogenannten European Accessibility Acts (EAA), das ist eine EU-Richtlinie - verhandelt. Meine Forderung ist: Der European Accessibility Act muss eindeutig im Sinne der Menschen mit Behinderungen umgesetzt werden. Das heißt, dass Video-on-Demand-Angebote und Streaming-Plattformen genauso barrierefrei sein müssen wie Geld- und Ticketautomaten oder E-Books - um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Der EAA wird auch eine große Rolle beim „European Inclusion Summit“ spielen, zu dem ich am 17. November 2020 einlade. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, die die Bundesrepublik derzeit innehat, wollen wir mit Gästen aus Deutschland und ganz Europa über den Stand der Inklusion in Europa diskutieren und uns über Erfahrungen in den Mitgliedsstaaten austauschen. Das Ganze wird digital stattfinden und per Livestream übertragen. Schauen Sie rein! Mehr Informationen finden Sie unten.
Es gibt übrigens auch gute Neuigkeiten im Jahr 2020 zu vermelden: So hat das Bundeskabinett nach 45 Jahren endlich eine Erhöhung der Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen im Einkommensteuerrecht beschlossen. Der Gesetzentwurf ist nun im parlamentarischen Verfahren. Das Thema war mir seit Beginn meiner Amtszeit ein besonderes Anliegen und es war nicht schwer, Bundesfinanzminister Olaf Scholz davon zu überzeugen. Denn oft wird vergessen, dass Menschen mit Behinderungen auf dem regulären Arbeitsmarkt entlastet werden müssen. Was mich auch sehr freut, ist der Kabinettbeschluss zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, eingeleitet durch das Bundesjustizministerium. Durch diese Reform soll die Autonomie der Menschen ganz im Sinne von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention gestärkt werden.
All dies zeigt, dass bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland, trotz vieler Um- und manchmal auch Irrwege, das Ziel klar vor Augen liegt. Inklusion ist kein Schönwetter-Konzept, das dann umgesetzt wird, wenn es uns gut geht und wir viel Zeit haben. Wir müssen beständig daran weiterarbeiten.
Zum Schluss möchte ich Sie gerne noch auf unser neues Kultur-Format hinweisen. Zur Inklusion gehört auch, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Kunst und Kultur haben - sei es als aktiv Schaffende oder als Rezipient*innen. Mit der „Kultur im Kleisthaus“ nehmen wir uns dieser Themen an. In unserer neuen Video-Podcast-Reihe „Salon im Kleisthaus“ spreche ich mit verschiedenen Gästen über ihren persönlichen Zugang zu Kunst und Kultur sowie über die Teilhabe-Situation von Menschen mit Behinderungen in dem Sektor. Die erste Folge mit dem bekannten Galeristen Johann König ist nun online. Schauen und hören Sie rein!
Ihr
Jürgen Dusel
Beauftragter der Bundesregierung
für die Belange von
Menschen mit Behinderungen
Erste Folge „Salon im Kleisthaus“ online
„Salon im Kleisthaus“ ist das neue digitale Talkformat von „Kultur im Kleisthaus“, der Kulturmarke des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. In dem Video - Podcast geht es um Kunst, Demokratie und Inklusion. Jürgen Dusels erster Gast ist Johann König. Der 39-Jährige hat mit seiner Galerie in der St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg eine Institution des zeitgenössischen Kunstmarkts geschaffen. Wir hatten die Ehre, unsere erste Sendung dort aufzeichnen zu können.
Sie finden das Video hier: Salon im Kleisthaus
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European Inclusion Summit
Virtuelle Veranstaltung mit Livestream am 17. November 2020: Gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus ganz Europa – Behindertenbeauftragten und Ombudsleuten der Regierungen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft – werden Ideen ausgetauscht und eine starke zukünftige „European Disability Strategy 2020-2030“ diskutiert.
Wie ist der Stand der Inklusion in Europa? Wie die Erfahrungen in den Mitgliedsstaaten? Welche Best-Practice-Beispiele für mehr Teilhabe gibt es? Am 17. November 2020 lädt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, zu einer virtuellen Veranstaltung, um genau diese Fragen – und viele andere – zu diskutieren. Die Veranstaltung wird aus Impulsvorträgen, Podiumsdiskussionen und interaktiven Videokonferenzen bestehen. Es erwarten Sie viele spannende Themen und hochkarätige Gäste aus ganz Europa. Seien Sie gespannt!
Mehr Informationen auf der Seite zur Veranstaltung, hinter diesem Link
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Dritter Internationaler Tag der Gebärdensprachen
Gebärdensprachen sind für alle da! Zum heutigen 3. Internationalen Tag der Gebärdensprachen fordert Jürgen Dusel auch in Deutschland mehr Sichtbarkeit für die Deutsche Gebärdensprache und auch mehr Gebärdensprache in den Medien. Mehr im aktuellen Videostatement.
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Mehr digitale Barrierefreiheit für Webseiten
Internetseiten müssen barrierefreier werden! Heute ist dafür ein wichtiger Stichtag: Öffentliche Stellen in Bund, Ländern und Kommunen sind verpflichtet, ihre Websites und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Hierzu gehört ab 23. September 2020 die Pflicht, auf ihren Websites Erklärungen zur Barrierefreiheit abzugeben. Wenn etwas nicht barrierefrei nutzbar ist, muss erklärt werden, welche Gründe es dafür gibt und ob es alternative Zugänge zu den Inhalten gibt. Bisher galt dies nur für ab 2018 veröffentlichte Websites.
Zu den Stellen, die verpflichtet sind, gehören zum Beispiel Ämter und Behörden wie Ministerien, Sozialversicherungsträger oder Bürgerämter - aber auch Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie kommunale Nahverkehrsunternehmen oder Abfallentsorger oder andere privatrechtliche Institutionen in öffentlicher Hand.
Die Erklärungen schließen transparente und gut zugängliche Beschwerdemöglichkeiten ein. Zum einen müssen die Erklärungen einen sogenannten Feedback-Mechanismus enthalten. Über diesen Mechanismus sollen Nutzer*innen Mängel bei der Barrierefreiheit einfach bei der Stelle melden können. Für den Fall, dass die Stelle die Barriere auf die Beschwerde hin nicht beseitigt, gibt es Durchsetzungs- bzw. Schlichtungsverfahren.
Bei Fragen steht auch die Schlichtungsstelle BGG zur Verfügung.
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Gespräch mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht
Am Freitag traf Jürgen Dusel die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht zum Gespräch. Die Ministerin machte klar, dass die Umsetzung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention - auch und gerade in der Pandemie - für sie von zentraler Bedeutung ist. Weiteres Thema war die Barrierefreiheit als Qualitätsstandard, aber auch als Kriterium für den Verbraucherschutz, für den sich die Ministerin auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft stark macht. Denn Politik für Menschen mit Behinderungen, auch hierin waren sich die beiden Jurist*innen einig, ist Politik für Verbraucher*innen.
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Gedenken an die Opfer der NS-„Euthanasie“
Anlässlich des heutigen Gedenktags an die Opfer der NS-„Euthanasie“ mahnt Jürgen Dusel, niemals damit aufzuhören, der Opfer der so genannten Euthanasie und Eugenik im Nationalsozialismus zu gedenken. „Die Erinnerung muss uns Mahnung und Lehre sein. Dass letzten Samstag vor unserem Parlament, dem Herzen unserer Demokratie, schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt wurden, ist schier unerträglich. Denn unter den Farben dieser Flagge wurden im Nationalsozialismus mindestens 200.000 Männer, Frauen und Kinder gezielt ermordet, weil sie eine Behinderung hatten oder psychisch krank waren. Hinzu kommen schätzungsweise 400.000 Menschen, die aus diesen Gründen zwangssterilisiert wurden. Wer sich die Symbolik aus dunkler Vergangenheit zu eigen macht oder ihr unreflektiert hinterherläuft, muss sich darüber im Klaren sein, welche menschenverachtende Ideologie damit verknüpft ist. Gerade diese aktuellen Ereignisse zeigen, dass unsere Gesellschaft wachsam sein und unsere Demokratie verteidigt werden muss. Das ist nichts Abstraktes, sondern ist Aufgabe für jeden einzelnen von uns. Ob Worte oder Symbolik: Wir müssen auch heute den Anfängen wehren!“
Aufgrund der aktuellen Pandemielage findet der Gedenktag virtuell statt. Gemeinsam mit anderen hat der Beauftragte heute zunächst einen Kranz am Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde niedergelegt. Nachmittags wird es eine virtuelle Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Die Würde des Menschen sichern. Im Alltag!“ geben. Mehr Informationen hier:
https://www.nichtvergessen-gedenktag2020.de/
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Selbstbestimmung statt Paternalismus: Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
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Werkstatt darf keine Einbahnstraße sein: Dusel fordert mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt
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Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen: Steuergerechtigkeit nach 45 Jahren
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Gutachten über Fahrgastrechte: Baustelle Barrierefreiheit
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Behindertenbeauftragter besorgt über Gesundheitsversorgung von Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen
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