Liebe Leser*innen des Inklusionsnewsletters,
heute feiern wir in Deutschland das 10-jährige Jubiläum des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention. Ein Grund zu feiern, denn seit 2009 hat sich viel getan im Bereich der Inklusion. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht, das wissen die meisten von Ihnen vermutlich sogar besser als ich.
Nehmen wir das Beispiel Arbeitsmarkt: Mittlerweile haben wir mehr als 1,2 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – so viele wie noch nie. Dennoch sind Menschen mit Behinderungen immer noch deutlich länger und häufiger arbeitslos als Menschen ohne Behinderungen. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch ungerechtfertigt. Menschen mit Behinderungen sind genauso leistungsfähig wie Menschen ohne Behinderungen – nur müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Gerade war ich bei den Special Olympics – den Weltspielen für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung – in Abu Dhabi. Und das, was ich dort miterleben durfte, hat mich begeistert – so viel Elan, Freude, Sportsgeist und auch Fachkompetenz sieht man nur bei echten Profis. Kaum vorstellbar, dass diese Menschen nicht Fuß fassen sollen im ersten Arbeitsmarkt.
Wir dürfen nie vergessen: Arbeit ist ein Menschenrecht, weil sie der Schlüssel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Darüber hinaus ist es in Zeiten des Fachkräftemangels wirtschaftlicher Wahnsinn, nicht in alle Potentiale zu investieren und sie zu nutzen. Für mich ist ganz klar: Wir haben in Deutschland eine Beschäftigungspflicht. Ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber kommt dieser Pflicht jedoch nicht nach, hat keinen einzigen Menschen mit Behinderung eingestellt und zahlt lieber die Ausgleichsabgabe. Das ist inakzeptabel und muss sich dringend ändern. Notfalls muss die Ausgleichsabgabe deutlich erhöht werden.
Ein weiteres Thema, das mich derzeit umtreibt, ist der Pauschalbetrag für Menschen mit Behinderungen im Steuerrecht. Dieser bedeutet eine ganz konkrete steuerliche Erleichterung für behinderungsbedingte Mehraufwendungen, die viele im Alltag haben. So weit so gut. Aber: Dieser Betrag wurde seit 1975 nicht mehr erhöht – seit 44 Jahren! Auch das ist alles andere als gerecht und ich werde mich bei der Bundesregierung sehr dafür einsetzen, dass dieser Betrag mindestens verdoppelt wird. Immerhin steht bereits ein sogenannter Prüfauftrag im Koalitionsvertrag, erste Gespräche werden geführt. Sie können sicher sein: Mein Team und ich bleiben dran.
Inklusion in Deutschland ist also noch lange keine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Prozess, der in manchen Bereichen zügiger läuft als gedacht, und in anderen Bereichen zäh ist und träge. Dann müssen wir gemeinsam nachhelfen. Mein Ziel ist, dass wir in naher Zukunft vieles erreichen werden, was heute vielleicht sogar noch illusionär erscheint. Wer weiß? Vielleicht sogar schon 2023, wenn die Special Olympics nach Deutschland kommen?
Herzlich grüßt Sie
Ihr
Jürgen Dusel
Beauftragter der Bundesregierung
für die Belange von
Menschen mit Behinderungen
P.S. In diesem Newsletter können Sie wieder kurze Berichte zu einer Auswahl von Terminen und Ereignissen lesen, die mich in letzter Zeit beschäftigt haben – oder beschäftigen werden, wie die barrierefreie Filmvorführung „Sandmädchen“, die diese Woche Donnerstag in meinem Dienstsitz – dem Kleisthaus in Berlin – stattfinden wird.