Nachlese: Fachveranstaltung "Das Schweigen brechen"erschienen am
Nachlese: Fachveranstaltung "Das Schweigen brechen"erschienen am
Am 25. November 2021, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, organisierte der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen gemeinsam mit der Christoffel-Blindenmission (CBM) die Onlinefachveranstaltung „Das Schweigen brechen – Wege zu inklusiver Gewaltprävention für Frauen mit Behinderungen weltweit“.
Was braucht es, wenn es darum geht, das Schweigen bei Gewalterfahrungen zu brechen? Das war die Leitfrage der Veranstaltung.
In seinem Grußwort zur Veranstaltung stellte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Jürgen Dusel fest, dass das Thema Gewalt gegen Frauen oftmals totgeschwiegen werde. Gewalt gegen Frauen sei jedoch ein weltweites Problem, und insbesondere das Risiko für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, Opfer von Gewalt zu werden, sei weltweit zwei- bis dreimal höher als bei Frauen ohne Behinderungen. Daher brauche es vielerlei Maßnahmen, um diese Gewalt wirksam zu bekämpfen: durch Empowerment der Frauen und Mädchen, durch die Schaffung von Vertrauensräumen, den besseren Zugang zum Recht zum Beispiel auch durch die Sensibilisierung von Beschäftigten bei Polizei, Beschäftigten bei Justiz und Gerichten.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung kam zuerst Laure Tay, Landesdirektorin der Christoffel-Blindenmission in Togo, Benin und der Elfenbeinküste, zu Wort. Sie gab zunächst einen Überblick über die Arbeit der CBM für die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen im globalen Süden. Danach ging sie auf ein paar Zahlen ein: Ungefähr 1 Milliarde Menschen weltweit lebt mit einer Behinderung, das heißt 15 Prozent der Weltbevölkerung. Unter ihnen gibt es mehr Frauen als Männer. Weiter betonte Laure Tay, dass Frauen mit Behinderungen einem höheren Risiko der Diskriminierung ausgesetzt seien: erstens durch ihr Geschlecht und zweitens durch ihre Behinderung. „Weltweit besteht zudem eine Verbindung zwischen Armut und Behinderung“, erklärte sie. „Allerdings gibt es zu wenig verlässliche Daten. Eine solide Datengrundlage kann jedoch dazu beitragen, relevantere und akkuratere Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu verbessern. Frauen mit Behinderungen müssen zudem ermächtigt und gestärkt werden, damit sie ihre Stimme erheben und ihre eigenen Geschichten erzählen. Auch ihre Rechte und auch ihre (wirtschaftliche) Autonomie müssen gestärkt werden.“
In der anschließenden Podiumsdiskussion hatte zuerst Abia Akram, Vorsitzende des Nationalen Forums für Frauen mit Behinderungen in Pakistan, das Wort. Sie beschrieb zunächst die Lage für Frauen mit Behinderungen in Pakistan, die sich gerade auch während der Pandemie verschlechtert habe. Sie seien unter anderem vermehrt sexueller Gewalt ausgesetzt. Insgesamt fehle ihnen der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Beschäftigung. Sie wies aber auch auf internationale Verpflichtungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hin und dass diese in allen Ländern mit konkreten Maßnahmen umgesetzt werden müssten.
Ingrid-Gabriela Hoven, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), ging auf die Frage ein, was Aufgabe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in diesem Zusammenhang sei. Sie betonte, dass diese sich der UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 32 verpflichte. Die Corona-Pandemie habe für Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu einer Verschlechterung geführt und mache es schwieriger, sich insgesamt ökonomisch besser aufzustellen, so Hoven weiter. „Diese Art von Mehrfachbelastung und Mehrfachdiskriminierung muss immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden.“ Es handele sich bei diesem Phänomen um keine Marginalie, sondern das Thema Gewalt betreffe ganz viele Frauen und Mädchen weltweit.
Martina Puschke, Projektleiterin Weibernetz e. V., richtet den Blick erneut auf Deutschland, denn auch hier müsse das Hilfesystem für Frauen mit Behinderungen gestärkt werden. Die Zahl von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren müssten, steige stetig. Noch immer werde Betroffenen von Gewalterfahrungen jedoch häufig nicht geglaubt. Das Hilfesystem in Deutschland müsse daher dringend gestärkt werden. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland habe jedoch bereits viel bewegt und vieles käme auch bei den Frauen mit Behinderungen an: Es gäbe Aufklärungsmaterial in Leichter Sprache und Gebärdensprache, Empowerment-Kurse, Frauenbeauftragte in Einrichtungen. Gerade Letztere müssten noch gestärkt werden und es brauche eine umfassende Gewaltschutzstrategie, die der UN-Fachausschuss seit 2015 von Deutschland fordert.
Auch Dr. Britta Schlegel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte, betonte, dass sich in den letzten Jahren einiges beim Thema „Gewalt an Frauen“ getan habe. Sie begrüße zum Beispiel, dass aufgrund einer neuen Regelung im SGB IX Einrichtungen nun verpflichtet seien, Schutzkonzepte zu entwickeln. „Da müssen wir alle dafür sorgen, dass dies nicht nur eine Regel ist, die auf dem Papier gilt. Sie muss in die Praxis umgesetzt werden.“ Zudem brauche es mehr Barrierefreiheit in Frauenhäusern und Schutzeinrichtungen. Sie forderte außerdem eine oder mehrere unabhängige Stellen zur Überwachung des Gewaltschutzes in Einrichtungen, um die Rechte von Frauen mit Behinderungen zu stärken – auch mit Blick auf die anstehende Staatenprüfung.
Während der Podiumsdiskussion kamen per Videoeinspieler auch weitere nationale und internationale Stimmen zu Wort. Sie können sie unten im Video sehen.
Dr. Rainer Brockhaus, Vorstand der Christoffel-Blindenmission, zeigte sich beeindruckt vom Mut der von Gewalt Betroffenen. Er führte weiter aus: „Das Schweigen brechen ist eine Seite der Kommunikation, die andere Seite der Kommunikation ist immer, dass dies auf offene Ohren trifft.“ Auch Männer müssen einen aktiven Teil in der Diskussion einnehmen und Gewalt gegen Frauen nicht nur zu einem Frauenthema erklären. „Das Problem geht uns alle an und bewegt uns alle. Wenn wir versuchen, ein Thema dieser Größe in eine Ecke der Gesellschaft zu stellen, werden wir es nicht nachhaltig und umfassend angehen können.“ Es brauche eine gesamtgesellschaftliche Diskussion.
Auch Jürgen Dusel führte aus: „Gewalt an Frauen ist häufig ein Thema, das vielfach von Frauen, aber selten von Männern aufgegriffen wird. Und mir ist es wichtig, dass hier und heute in der Hauptsache Frauen, die das Thema betrifft, zu Wort kommen. Dennoch handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das selbstverständlich auch Männer angeht. Es geht darum, auf dieses wichtige Problem aufmerksam zu machen, dafür zu sensibilisieren, aufeinander zu achten, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu zeigen. Es geht darum, Strukturen zu verändern. Und mehr als alles andere darum, die bedrückende Entwicklung aufzuhalten und die Gewaltspirale zu durchbrechen.“
Autorin: Regine Laroche/Behindertenbeauftragter der Bundesregierung
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